Kinder haben ein Recht auf Aufklärung

In Luxemburg wurde eine Petition nun von über 7000 Personen unterschrieben, welche sich ganz klar gegen LGBTQIA+ Menschen richtet und Inhalte über Queerness aus den Schulen verbannen will – eine solche Art der diskriminierenden Zensur kann Volt nicht tolerieren.

25. Jul 2024
A child with hair dyed in rainbow colours and wearing a white T-shirt

Volt bekennt sich vollends zur Unterstützung der Menschenrechte, insbesondere jener von Minderheiten und der LGBTQIA+ Community. Die bei der Kammer eingereichte Petition N° 3198 ist eine menschenverachtende und völlig von Unkenntnis über wissenschaftliche Fakten geprägte Hassrede, die sich ganz klar gegen queere Menschen richtet – auch wenn sie selbst behauptet, sie tue das nicht. Denn wer die Aufklärung von Kindern verhindern möchte, möchte gleichzeitig verhindern, dass Kinder über die Existenz und Rechte von LGBTQIA+ Menschen erfahren.

Volt zeigt sich erschüttert über die vielen Menschen, welche diese Petition unterschrieben haben. Die Begründungen, die angeführt werden, zeugen von Unkenntnis des Lehrplans, der Psychologie und der modernen Biologie. Wir wollen an dieser Stelle die Argumente der Petition ein für alle Mal debunken und klarstellen, wie wichtig die Erziehung rund um Sexualität im Allgemeinen und LGBTQIA+ Themen im Speziellen ist.

Debunking der Behauptungen der Petition

Die Einführung dieser Themen in einem frühen Alter kann die psychopädagogische Entwicklung der Kinder stören.

➡️ Falsch! Es gibt keine Studien, die irgendwas dergleichen suggerieren. Inwiefern es die Entwicklung von Kindern stören könnte, ist auch unklar – schließlich geht es hier um Fakten, um biologische und psychologische Erkenntnisse. Kinder bekommen die Information, dass es Dinge außerhalb des vorherrschenden Heteronormativität gibt. Es sorgt genau im Gegenteil für eine harmonischeres Zusammenleben, wenn Kinder von früh auf über verschiedene Sexualitäten und Identitäten aufgeklärt werden. Dass dies in einer kindgerechten Form passieren muss, versteht sich von selbst – genauso wie es im Biologie-Unterricht verschiedene Methoden, dem Alter entsprechend gibt, um Kindern beizubringen, wie die Fortpflanzung beim Menschen funktioniert.

Eine schulische Einführung in LGBTQIA+ Themen wird vielerorts gefordert. Dass Lehrkräfte einerseits sexuelle und geschlechtliche Vielfalt sichtbarer machen und sich andererseits nicht selbst (ungewollt) diskriminierend verhalten, sondern gegen Diskriminierung einschreiten sollen, zeigen die Ergebnisse einer Befragung von mehr als 700 Schüler*innen aus 24 sechsten und 26 neunten und zehnten Klassen in 20 repräsentativ ausgewählten Berliner Schulen aller Regelschularten: „Die Mehrebenenanalysen zeigen, wie hilfreich eine Thematisierung sexueller Vielfalt durch die Lehrkräfte ist. In je mehr verschiedenen Jahrgängen und Fächern Lesbischsein und Schwulsein thematisiert wurde, desto besser wussten die Schüler/innen über LSBT Bescheid und desto positivere Einstellungen zu LSBT hatten sie.“ (Ulrich Klocke, 2012)

Eine Regierung [...] sollte die Vermittlung von LGBT-Themen aus Programmen für Minderjährige ausschließen oder Optionen anbieten, bei denen Familien entscheiden können, ob ihre Kinder daran teilnehmen oder nicht.

➡️ Falsch! Pädagogische Fachkräfte haben gemäß der UN-Kinderrechtskonvention den gesetzlichen Auftrag, Kinder in ihrer individuellen Persönlichkeitsentwicklung zu unterstützen, sie vor Gefahren zu schützen und Benachteiligungen abzubauen. Jedes Kind, unabhängig von Geschlechtsidentität, sexueller Orientierung oder anderen sozialen Aspekten, hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, auf eine diskriminierungsfreie Lernumgebung und auf Teilhabe.  Auch die UNESCO unterstreicht in ihrer Internationalen fachliche Anleitung zur Sexualerziehung, dass LGBTQIA+ Themen zu einer umfangreichen sexuellen Bildung dazugehören. Die Wichtigkeit einer vollständigen Sexualitätserziehung und -Bildung unterstreicht die UNESCO immer wieder.

Im Sekundarunterricht in Luxemburg werden LGBTQIA+ Themen in vielen verschiedenen Fächern behandelt: im Biologie-, Sprach-, Lebens- und Gesellschaftsunterricht. Ziel ist es, den Schüler*innen ein neutrales Verständnis dafür zu vermitteln, wie die Welt funktioniert. In einem Interview mit L‘Essentiel betont Raoul Scholtes, Biologielehrer und Vorsitzender der Lehrergewerkschaft Féduse/Enseignement-CGFP, betont, dass es nicht akzeptabel ist, diese Themen optional zu gestalten. Er vergleicht dies mit der Frage, ob Eltern entscheiden sollten, ob ihre Kinder lernen, wo sich Chile befindet, nur weil sie eine andere Meinung haben. (Marion Mellinger, 2024)

Die wichtigste Aufgabe des öffentlichen Bildungswesens ist es, dafür zu sorgen, dass sich die Schulen auf den Erwerb grundlegender akademischer Fähigkeiten konzentrieren.

➡️ Falsch! Bildung hat deutlich mehr Aufgaben, die heute auch so anerkannt sind. Bildung soll die Persönlichkeit entwickeln und ein erfülltes Leben ermöglichen. Bildung soll gut ausgebildete Fachkräfte für den Arbeitsmarkt bereitstellen und unsere Wirtschaft wettbewerbsfähig halten. Bildung soll Frieden und Demokratie sichern und unser kulturelles Wissen über die Generationen weitergeben. Insofern unterliegt eine Bildungseinrichtung auch rein dem wissenschaftlichen und ethischen Konsens. Sie kann nicht auf die privaten Ansichten, Meinungen, Glauben oder Religionen der Einzelnen Rücksicht nehmen, wenn man dadurch Gefahr läuft, gegen die Fakten zu gehen – das entspricht nicht dem Bildungsauftrag des Staates. So müssen – zumindest in den meisten europäischen Staaten – alle Mädchen, unabhängig von ihrer Religion, Schwimmunterricht nehmen, alle Kinder lernen im gemeinsamen „Leben und Gesellschaft“-Unterricht verschiedene Weltreligionen kennen (unabhängig von ihrer eigenen Religion), sie befassen sich in der Biologie mit der menschlichen Reproduktion und der Evolutionstheorie, in Geschichte lernen sie auf neutrale Weise von den schlimmsten und brutalsten Auseinandersetzungen der Menschen des 20. Jahrhunderts und haben schlussendlich Lehrpersonal der unterschiedlichsten Nationalitäten, Hautfarben, Sexualitäten, Geschlechtern und Konfessionen. Einen Keil in ein beliebiges Thema zu werfen, nur weil es einem persönlich nicht passt, ist nicht nur ignorant, sondern gleichsam respektlos dem eigenen Kind gegenüber. Denn anders, als es andere darstellen, wird in der hiesigen Schule aufgeklärt, nicht indoktriniert. Ein Verbot kommt Bücherverbrennungen gleich – es wird weggeschwiegen, was da ist.

A blonde child holds two hands with the palms facing forward in front of her face. The palms of the hands are painted in all the colours of the rainbow.Warum die sexuelle Erziehung rundum geschlechtliche Vielfalt so wichtig ist

Die allgemeine Schulpflicht macht es unumgänglich, sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Schulen zu berücksichtigen. Im Gegensatz zu anderen Kontexten können Kinder und Jugendliche der Schule nicht entkommen und verbringen einen Großteil ihrer Zeit dort. Eine feindselige oder ignorante Atmosphäre beeinträchtigt daher ihr Wohlbefinden, ihren Lernerfolg und ihre Bildungschancen. Gleichzeitig bietet die Schulpflicht die einzigartige Gelegenheit, alle Menschen zumindest in einem bestimmten Lebensalter zu erreichen. Wenn eine Gesellschaft Vorurteile und Diskriminierung abbauen und Akzeptanz für Vielfalt fördern möchte, muss sie allein aus pragmatischen Gründen in der Schule beginnen. Lehrkräfte und andere pädagogische Fachkräfte haben daher eine besondere Verantwortung gegenüber LGBTQIA+ Jugendlichen. „Empirische Studien belegen, dass bestehende Geschlechterstereotypen Kinder in ihrer Entwicklung behindern.“ (Petra Focks, 2022)

Hinzu kommt, dass dieser absurde Streit um persönliche Intoleranz auf dem Rücken von queeren Jugendlichen ausgetragen wird. Denn diese sind noch mehr als alle anderen Jugendlichen von mentalen Problemen geplagt – aufgrund von Intoleranz und Unverständnis von ihren Peers. Die Heteronormativität zwingt queere Jugendliche dazu, sich noch mehr infrage zu stellen, als das junge Erwachsene eh schon tun und führt häufiger als bei cis/hetero Jugendlichen zu Depressionen oder Suizid. „LGBTQ+ young people are more likely than their peers to experience a mental health difficulty and may be less likely to draw on specialist support due to fears of discrimination.“ (Town et al., 2022)

Und die Schule ist dabei enorm wichtig: „Present data highlights that LGBTQ youth are at a heightened risk for numerous health and educational concerns. Such concerns can be attributed to a […] lack of school curricula and policies that value LGBTQ diversity, and the existence of overall hostile and exclusionary school climates. The level of warmth and positivity in a school environment can positively impact LGBTQ students’ experiences and their subsequent health and educational outcomes.“ (Leung et al., 2022)

Es obliegt der Schule, die eine derart wichtige Institution für junge Menschen ist, für die mentale Gesundheit aller ihrer Schüler*innen zu sorgen und unsere Werte der Toleranz, der Menschenrechte und der Menschenwürde zu vermitteln. „Lehrkräfte und andere pädagogische Fachkräfte haben [LGBTQIA+ Kindern] gegenüber eine besondere Verantwortung, weil sich Kinder und Jugendliche aufgrund der Schulpflicht einer möglicherweise abwertenden oder ignoranten Atmosphäre in der Schule nicht entziehen können. Darüber hinaus können alle Kinder und Jugendlichen in der Schule erreicht werden, um etwas über die Situation von LSBTI* zu lernen und auch andere Arten, zu leben und zu lieben, akzeptieren zu können.” (Ulrich Klocke, 2020)

Wenn wir der Schule das Recht absprechen, über Diversität zu unterrichten, so begraben wir auch unsere Werte der Toleranz, der Offenheit, der Menschenwürde. Volt wird diese Werte immer verteidigen und für eine freie Gesellschaft, ohne Zensur, von politischer Freiheit und ohne Indoktrinierung einstehen. Jedes Kind, ja jeder Mensch hat ein Recht auf Aufklärung. Ein Recht auf Bildung. Ein Recht auf Wissen. Und die Schule ist das wichtigste Organ, um diese Rechte zu verteidigen.

Zu guter Letzt wollen wir noch auf die hervorragende und umfangreiche Publikation „Let’s Talk about Sex!“ aus dem Jahr 2020 des Gesundheitsministeriums hinweisen, welches einen pädagogischen Leitfaden für Lehrkräfte darstellt.

 

Quellen: